Sonntag, Siebter Tag

Eine Hocheben

Der Blick aus dem Fenster zeigt uns schon vor dem Aufstehen unser erstes Ziel des Tages. Der Monte Ortigara steht in seiner vollen Größe auf der anderen Talseite vor uns. Die Auffahrt zu ihm macht von dort unten schlappe 1.800 Höhenmeter.
Also heißt es gut frühstücken. Auf der Terrasse des Hotels, mit Blick auf den Ortigara beherzigen wir das gerne und langen beim Buffet zu.
Von Strigno bis Ospedaletto geht es noch mal 250 Höhenmeter hinab. Das Tal ist bekannt für den Hitzestau, der sich bei warmem Wetter hier bildet. Wir sind froh früh dran zu sein und den Anstieg nicht in der Mittagssonne machen zu müssen. Auf unserer Karte geht der angeblich breite Weg 227 nach Ospedaletto rechts vom Bach entlang den Hang des Ortigara hinauf. Der Weg aus der Zeit des Ersten Weltkrieges ist völlig zugewachsen. Beim ersten Tunnel bemerken wir erst, dass er einst die Breite einer Fahrstraße hatte. Wir fahren durch ihn durch, filmen und biken weiter.

Carsten:
"Ich habe mich schon am Anfang gewundert, warum der dick in der Karte eingezeichnete Weg so zugewachsen ist. Erst als wir den ersten Tunnel entdecken bin ich mir sicher überhaupt auf dem richtigen Weg zu sein...zumindest für die nächsten 5 Minuten...."

Im zweiten Tunnel kommt uns die Sache dann langsam etwas komisch vor. Im dritten Tunnel sehen wir dann das Elend! Er ist in der Mitte eingestürzt.
Carsten und Dave klettern durch den Felssturz an das Tageslicht. Dave findet außen noch einen Fußpfad der schließlich jedoch an einer breiten Felswand endet. Es gibt kein Weiterkommen. Nur ein paar Fledermäuse werden aufgeschreckt.

Es bleibt uns nichts anderes übrig als umzudrehen und bis zu dem kleinen Örtchen Selva abzufahren.
Dort angekommen befüllen wir noch mal unsere Trinkflaschen an einem Brunnen. In der Zwischenzeit ist es richtig heiß geworden. Und wir sind immer noch im Tal. So tief unten wie noch nie an diesem Tag!
Jetzt geht es zum Anstieg. Über einen Fahrweg kommen wir kurz über dem Örtchen Selva nach einigen Serpentinen wieder auf den Militärweg. Hier jedoch wird er regelmäßig benutzt und ist nicht derart zugewuchert wie im unteren Abschnitt.

Carsten:
"Es ist irrsinnig heiß und schwül, und das um 10.00 Uhr morgens. Ein Glück dass wir gestern Abend noch den Cinque Croci gemacht haben, sonst wäre es hier wohl noch mal 10°C heißer. Ich habe schon die erste Bikehose naß geschwitzt, mein Hintern ist völlig wund gesessen, der billige Plastiksattel auf dem Coach heizt sich auf 60°C auf, zumindest fühlt es sich so an...

Bis zum Rifugio alla Barricata sind es 1.100 Höhenmeter. In einem Zug fahren wir sie durch.
Unsere Verwunderung ist nicht gering, als wir oben angekommen eine Menschenmenge ähnlich einem Volksfest vorfinden. Es ist Sonntag, ein großes Bierzelt ist aufgestellt, Volksmusik wird gespielt und überall stehen Autos. Das Rifugio Alla Barricata ist von der Südseite aus mit dem Auto erreichbar und somit ein beliebtes Ausflugsziel.
Wir füllen unsere Trinkflaschen und fahren einige hundert Meter weiter. Die Sonne ist auf einmal weg. Jetzt wo wir oben sind wird es auch noch kühl. Wir picknicken auf einer Wiese und machen uns dann weiter auf für die nächsten 700 Höhenmeter bis zum Bivio Italia. Die Hochebene des M. Ortigara war im Ersten Weltkrieg stark umkämpft. Auf den Weg hinauf kommen wir ständig an den Resten von Festungsanlagen und Gedenktafeln vorbei. Die Sonne kommt wieder heraus. Es geht aufwärts und schon steht sie über uns.
Die Hochebene ist alles andere als eben. Auf dem Weg zum Bivio Italia geht es ständig 150 Höhenmeter hinab, um dann wieder 300 aufsteigen zu müssen.

Dave:
"Die Wege haben einen steinigen Untergrund und sind alles andere als bequem befahrbar. Immer wieder gehen wir aus den Sätteln, um unsere geschundenen Hintern zu schonen."

Dazu kommt, dass wir uns bei dem dichten Netz von Wegen und Fahrstraßen verfahren. Der Umweg kostet uns mehr als eine halbe Stunde. Nicht gerade angenehm auf einer Hochfläche, die für ihre Wasserarmut bekannt ist. Den nächsten Brunnen gibt es nach den uns vorliegenden Angaben erst in 40 Kilometern.
Doch durch unseren Umweg kommen wir an einer Wassersammelstelle vorbei. Durch Aufdrehen eines Wasserhahns kommt ein schmales Rinnsal Wasser in unsere Trinkflaschen.

Carsten:
"Mir fehlen die Gänge, die Reifen finden keinen Halt auf dem groben Schotter. Mein Knie fängt wieder an zu schmerzen. Viele Anstiege muss ich schieben, während der Rest der Gruppe hinauf fährt...
Zum Glück ziehen einige Wolken auf, so dass die Hitze etwas erträglicher wird, wenn hier die Sonne rein brennt kann die Beschaffung von ausreichend Trinkwasser zu einem ernsthaften Problem werden."

Wir kommen an höhlenähnlichen Bunkeranlagen vorbei und erreichen schließlich das Bivio Italia. Die Abzweigung liegt mitten im Nichts der kargen durch das Kriegsgeschehen aufgewühlten Landschaft.
Kaum haben wir uns zur Abfahrt bereit gemacht zieht Nebel auf. Die Landschaft wird gespenstisch. Wir machen uns auf den Weg und kommen an den Überresten einer Kirche und eines Lazarettes vorbei. Der Nebel streicht mit seinen Schwaden weich über die Bunkeranlagen und Schützengräben neben dem Weg.

Wir passieren eine große Schafherde. Ein Hirte hat soeben ein Lamm geschlachtet. Er kommt mir mit dem blutenden Fell entgegen. Das Tier hängt an einem Baum. Die Hunde sind aufgeregt und tragen Maulkörbe.
Ich filme die Szenerie. Die Hirten sind äußerst nett und versuchen mit uns ins Gespräch zu kommen. Unsere mangelnden Sprachkenntnisse verhindern leider tiefer gehende Gespräche.

Es geht weiter am Ex. Cim.ro Militare vorbei. Der Weg steigt wieder an. Noch mal geht es 150 Höhenmeter hinauf. Wieder Schafe und ein alter Hirte am Rand des Weges. Dann geht es endlich abwärts. Es ist schon wieder später Nachmittag. Seit der Rast am Rifugio alla Barricata sind schon wieder fast fünf Stunden vergangen.

Carsten:
"Die Reifen finden keinen Halt, der Hinterbau springt wie verrückt herum, nur durch schnelle Reaktion kann ich einige Stürze abwenden. Für schnelle Schotterabfahrten ist das Bike absolut untauglich"

Wir fahren ab bis zur Malga Larici. Eine große Portion Pasta bringt uns wieder auf die Beine. Von Hochebenen haben wir jedoch erstmal genug. Per Handy verabreden wir uns mit dem Filmteam am ehemaligen Forte Busa Verle. Es ist klar, dass wir dieses in der schönsten Abendstimmung erreichen werden. Um sie nicht zu verpassen, schwingen wir uns gleich nach den Nudeln wieder in die Sättel. Ein paar Meter geht es noch mal bergauf, dann aber schnell hinab.
Wir erreichen die Festung und machen Fotos. Micha und André kommen soeben auch von dem weiter unten liegenden Parkplatz herauf gelaufen. Die Anlage wirkt gigantisch. Es ist führ uns die erste große Festungsanlage auf der Tour. Es steht nur noch die vordere Front des Gebäudes. Dahinter ist nur Schutt.

Die Festung hat den Ersten Weltkrieg zwar schwer beschädigt überlebt, wurde aber in der Zeit des Wirtschaftsembargos gegen Italien in der 1930er Jahren zerstört, um an das darin verbaute Eisen zu gelangen.
Ein Los, das bis auf das heute noch erhaltene Werk Belvedere/Gschwend, alle großen Festungsanlagen hinnehmen mussten.

Carsten:
"Ins Abendlicht getaucht ist die Festung die eindrucksvolle Kulisse für tolle Fotos. Dave und ich erklimmen mit unseren Bikes die Rückseite des Forts, fahren nach vorne während Roland und Rolf die gewünschten Einstellungen knipsen...leider wird es schon wieder dunkel und wir müssen uns auf Quartiersuche machen."

Die Sonne geht unter und wir bekommen am Passo di Vezzena die letzten sechs Betten. Das Küchenpersonal ist zum großen Teil schon nach Hause gegangen, als wir uns an den Tisch setzen. Das letzte Essen, das es gibt ist dennoch sehr lecker. Der Wein scheint direkt ins Blut zu gehen. Wir teilen uns zu sechst einen Liter, doch schlafen alle davon selig in den nächsten Morgen.

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