1. ETAPPE

Gsteig-Sion

Es ist Samstag, kurz nach 14.00 Uhr. Nach neun Stunden Autofahrt erreichen wir Gsteig im Berner Oberland. Unser Ziel ist der Gletscher von Les Diablerets. Noch scheint die Sonne und es ist warm. Schnell werden die Bikes von uns zusammen gebaut. Wir, das ist das alte Transalp Team von 2004, mein Bruder Roland, Rolf Metzger und David Werner. Und wieder einmal soll bei unserer Alpentour ein Film entstehen. Daher wird in unseren Rucksäcken neben dem üblichen Tourengepäck eine umfangreiche Film- und Fotoausrüstung verstaut.

Wir starten, obwohl sich oben am Berg einige bedrohliche Wolken zusammenbrauen. Der Wetterbericht hatte jedoch für Nachmittags eine Wetterbesserung versprochen. Wir fahren die 400 Höhenmeter bis zum Col du Pillon bei strahlendem Sonnenschein hinauf, oben an der Talstation der Seilbahn angekommen umhüllt uns aber bereits dichter Nebel. Dennoch lösen wir für üppige 43,-SFR pro Nase ein Ticket nach oben. In der großen Gondel sind wir die eizigsten Fahrgäste heute. Wir durchstoßen mehrere Wolkenschichten, sehen kurzzeitig ein paar Fetzen von der atemberaubenden Landschaft. Kaum sind wir oben ausgestiegen beginnt es zu tröpfeln, zudem ist es bitter kalt. Die ersten Meter auf der völlig aufgeweichten Skipiste sind dank des Gefälles noch mit dem Bike befahrbar. Inzwischen regnet es heftig, dazu gesellen sich Graupelschauer. Ein schöner Anfang für unseren Alpencross. Nebel, weicher matschiger Untergrund, Orientierung? Fehlanzeige! White out. Wir folgen der Line auf meinem GPS Gerät und stehen plötzlich vor einer weißen Kiste. Es regnet heftig, dazu immer wieder Graupelschauer. Die weiße Kiste entpuppt sich als Container, der mitten auf dem Gletscher steht, zum Glück unverschlossen. Also rein in die Kiste und erst mal abwarten. Wir nehmen´s mit Humor. Ein Dröhnen im Nebel, aha, eine Pistenraupe kommt vorbei gefahren und dreht eine Schleife um unseren Unterstand. Der Fahrer entdeckt uns und fragt uns auf Französisch, wo wir denn noch hin wollen. Zum Sanetschpass? Bei dem Wetter, mit dem Bike? Völlig Irre! Nach 20 min lässt das Prasseln des Regens auf dem Blechdach auf, der Tour St. Martin, ein riesiger kegelförmiger Monolith ist kurz am Horizont erkennbar. Markant markiert dieser Monolith aus Fels das Ende des Gletschers. Dort ist eine Hütte, leicht erreichbar, so scheint es zumindest. Wir brechen auf, ein Drittel des Weges ist geschafft als plötzlich ein Blitz die Szenerie beleuchtet. Super, Gewitter auf 3000 Metern Höhe, ungeschützt auf einer ebenen Eisfläche. Eisfläche? Schön wärs, knöcheltiefer Schneematsch macht das Vorankommen hier so einfach wie eine Wanderung in Kaugummimasse. An Fahren auf den Bikes ist nicht zu denken. Ich sprinte los, zur schützenden Hütte, wie weit? 500 Meter, oder doch 900? Ein Blitz, instinktiv zähle ich einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiund-kawumm! Aua, das war nahe. Der Tour St. Martin ist wieder im Nebel verschwunden, die Skipiste weist den Weg. Vor mir ein Skilift, ein Prima Blitzableiter, oder eine Anlage, die die todbringende Gefahr direkt zu mir leitet? Wieder ein Blitz, ich spüre die Energie in der Luft, jetzt schnell, im Laufschritt unter den Metallmasten hindurch, 100 Meter Sprint. Ich drehe mich um. Der Rest der Gruppe ist zurückgefallen. Wäre es besser gewesen zurück zum Metallcontainer zu gehen? Erst jetzt kommt mir dieser Gedanke, zu spät, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Wieder blitzt und donnert es, wie Peitschenhiebe treibt mich dies an, ich sprinte wieder los, obwohl ich eigentlich meine Kräfte schon verbraucht habe. Wieder ein Lift, noch mal zusammen reißen, Sprint und dann endlich erscheint es wieder aus dem Nebel, der Tour St. Martin. Davor die vermeidlich sichere Hütte.

auf dem Eis

Nochmals lange 200 Meter trennen mich von diesem Rettungsanker. Irgendwann erreiche ich die Hütte. Geschlossen und natürlich verschlossen. Klasse. Einzig die zwei Plumsklos vor der Hütte sind offen. Eine wahrlich besch… Situation. Egal, hier kann ich jedenfalls mal meine Brille putzen und aus dem Trockenen heraus die anderen drei der Gruppe bei ihrem Marsch durch den Schneematsch fotografieren. Kaum sind diese bei mir angekommen lässt der Regen nach, das Gewitter ist vorbei und der Nebel lichtet sich. Der Blick wird frei in die Tiefe und hinab ins Rhonetal.

Nach einer kurze Verschnaufpause brechen wir auf und umgehen auf einem Geröllfeld den Tour St. Martin. Bald liegt Firn auf den Felsen und wir rutschen hinab bis zu den nächsten Felsbrocken. Die Wegmarkierungen sind meist zugeschneit, aber auf einen Weg ist man auf dem nun folgenden Streckenabschnitt ohnehin nicht angewiesen. Es geht über ein riesiges Felsplateau, welches der früher einmal wesentlich mächtigere Gletscher glatt geschliffen hat. Leider liegt dieses Jahr noch viel zu viel Schnee in den Mulden und Senken. Ein wirklicher Abfahrtspaß wird immer wieder durch diese unkalkulierbaren Schneefelder gehemmt.

auf dem Felsplateau

Dave überschlägt sich sogar einmal beim Versuch vom Felsen direkt auf den Schnee zu fahren, da Ihm das Vorderrad fast bis zum Lenker wegtaucht. Zum Glück ist die Landung sehr weich. Wir haben Spaß, spielen mit dem ungewohnten Mix aus Fels und Schnee und gelangen auf einer ziemlich willkürlich gewählten Route schlussendlich zur Cabane de Prarochet. Angesichts der immer noch wechselhaften Wetterlage lassen wir die Hütte links liegen und fahren auf dem Wirtschaftsweg hinab ins Tal. An einem kleinen See wollen wir nochmals auf die Felsen fahren, da uns der Schotterweg zu langweilig wird. Leider sind wir nach einigen Minuten wieder von aufziehendem Nebel umhüllt. Die Weiterfahrt auf den durch tiefe Spalten versetzten Felsen und direkt an Steilabbrüchen wird uns zu heikel. Daher fahren wir in einem Bogen zurück auf den Schotterweg. Dieser führt durch flache Mulden und nach einigen steilen Gegenanstiegen letztendlich zum Col du Sanesch. Der parallel zur Straße nach Sion vorlaufende Wanderweg ist völlig durchweicht und verschlammt, so dass wir beschließen in Richtung Hotel Sanesch zunächst auf der Straße ab zu fahren. Inzwischen regnet es wieder stark. Wir fahren in einen Tunnel. Dave fährt hinein in die Dunkelheit und aktiviert vermutlich via Bewegungsmelder einige Lampen. Auch hier tropft es von der Decke und der Untergrund ist glitschig. Am Ende des Tunnels bemerken wir, dass wir oben im Regen den Abzweig zum Hotel Sanesch verpasst haben. Schön windet sich unterhalb des Hotels der eigentlich geplante Trail ins Tal. Schade, aber bei dem Wetter kein allzu großer Verlust. Wir entdecken auf der Karte eine weitere Möglichkeit abseits der Straße ins Tal zu gelangen und da der Regen inzwischen wieder aufgehört hat, beschließen wir den Trail zu suchen. Volltreffer! Es führt ein technisch anspruchsvoller Trail steil hinab nach Dorbagnon. Enge verschachtelte Spitzkehren, die das Versetzen des Hinterrades verlangen, schmale feuchte Rinnen sowie heute besonders glitschige Wurzelpassagen sind genau das Terrain von Dave und mir. Wir sind inzwischen sehr glücklich darüber, den wesentlich einfacher aussehenden Trail am Hotel Sanesch verpasst zu haben, und stattdessen dieses fahrtechnische Schmankerl befahren zu können. Schließlich erreichen wir die Fahrstraße unten im Tal und befinden uns alsbald wieder auf der ursprünglich geplanten Route. Jetzt könnte man gemütlich hinab nach Sion rollen und den spannenden und abwechslungsreichen Tag auf der Straße ausklingen lassen. Schön wär´s. Bereits wenige Minuten nachdem wir den Trail verlassen haben beginnt es wieder zu tröpfeln. Das Tröpfeln geht bald in einen kräftigen Landregen über. Wir rasen GPS-gesteuert auf der vorab geplanten Route abwärts. Oben donnert es wieder, sei´s drum, Gewitter im Tal sind doch nur Kindergeburtstag. Dafür schüttet es nun wolkenbruchartig, wenigstens ist es nicht allzu kalt. Durch die Weinberge oberhalb von Sion geht es weiter nach unten. Ein Glück bei dem Wetter nicht an jeder Kreuzung die Karte aus dem Rucksack ziehen zu müssen. Punktgenau erreichen wir kurz nach acht Uhr völlig durchnässt die vorab gebuchte Unterkunft. Die Gastgeber stellen für uns gleich einen Kleiderständer in der Garage auf. Unsere Nachfrage nach einer Einkehrmöglichkeit in der näheren Umgebung wird mit dem Angebot, ein echtes Valliser Raclette zu zubereiten, beantwortet. Wir nehmen dieses Angebot dankend an, zumal wir gar keine trockene Kleidung, geschweige denn Schuhe mehr haben um aus zu gehen. Bei köstlichem selbst gekelterten Wein und Raclette vom ganzen Laib lassen wir den Abend gemütlich ausklingen.

Fazit:

Diesen ereignisreichen Tag mit miserabelsten Wetterbedingungen hätten wir uns eigentlich ersparen können. Hätte das schlechte Wetter 30 min früher begonnen wären wir mit dem Auto nach Sion gefahren.

Das neue GPS Gerät hat sich sowohl im Nebel als auch bei den sintflutartigen Regenfällen als sinnvolle Hilfe erwiesen.

Am ersten Tag des Westalpen-Abenteuers sind wir noch bei Hagel, Gewitter und Sturzregen samt Fahrrädern auf dem Gletscher herumgetanzt. Links und rechts von uns sind die Blitze eingeschlagen und wir konnten uns gerade so in ein kleines Toilettenhäuschen einer verlassenen Berghütte flüchten.
Die Abfahrt im Schnee und Regen hat uns derart durchnässt, dass wir die Sachen erst gut 24 Stunden später wieder trocken bekamen.

Alle Fotos von Tag 1

Unterkunft:

Madame Chantal Schroeter, chambre d’hôte
Rue de la Madeleine 7
1963 Vétroz
+41(0)27 346 58 40, mobile +41 (0) 76 348 13 36
e-mail : chantalschroeter@hotmail.com
www.bnb.ch

Route:
Gsteig
Col du Pillon
Sex Rouge
Cabane de Prarochet
Hotel du Sanetch
Sion