Wir wachen früh auf in unserem Notlager bei der Similaunhütte. Wir haben erstaunlich gut geschlafen auf einer Höhe von 3.020 m. Auch das Frühstück bringen wir schnell hinter uns. Heute ist Downhill-Tag, uns erwarten in Summe über 3.600 Höhenmeter alpiner Singletrail. Bereits um 7.00 Uhr sitzen wir auf unseren Bikes. Der Weg hinab zum Vergnatt-Stausee liegt noch im Schatten.
Bei den gängigen Transalp-Übergängen hat das Niederjoch den Ruf eines der schwierigsten Abfahrten zu besitzen. Auf nur einem Kilometer Strecke verliert man 500 Höhenmeter. Es geht durch verblockten Granit, steile Felskaskaden und durch enge Kehren. Harry und ich sind diesen Trail schon einmal gefahren, Dave haben wir schon seit langem den Mund wässerig gemacht. Wieder einmal spielen wir mit Felsen, den Treppen und den engen Kehren am Abgrund. Freude pur! Leider können wir unser Vorhaben, die komplette Abfahrt fehlerfrei auf dem Bike zu absolvieren nicht ganz umsetzen, da uns einige schwierige und ausgesetzte Stellen am Abgrund trotz aller Fahrkünste zu gefährlich erscheinen.
Niederjochabfahrt
S-4 Sektion am Niederjoch
Harry: “Ich brauche noch die ersten Meter, um mich einzufahren und warm zu werden. Doch schon nach der 4ten Kehre läuft´s wie geschmiert. Gezieltes anbremsen, das Hinterrad versetzen und den Allerwertesten weit hinter den Sattel bringen für die verblockten, steilen Felsabschnitte. 2 ausgesetzte Passagen verweigere ich dann, man muss ja nicht alles riskieren.”

Schließlich erreichen wir unter der beinahe senkrechten Wand den Schuttkegel und somit den einfacheren Trail im unteren Teil der Abfahrt. Bei einem Felsbrocken fange ich mir wegen eines Fahrfehlers einen Durchschlag am Hinterrad ein. Wenn man wie wir in diesem Gelände mit Reifendrücken um 1 bar unterwegs ist, sollte man doch allzu heftige Kanten am Hinterrad vermeiden. Beim Wechseln des Schlauches bemerke ich noch, das bei mir ein Speichennippel abgerissen ist. Ich tausche ihn bei dieser Gelegenheit gleich mit aus.
Nach der flowigen Trail-Abfahrt, die aber immer wieder mit fahrtechnischen Herausforderungen gespickt ist, erreichen wir schließlich den Vergnattstausee.
Harry: “An Daves Dauergrinsen, das ihm wie ins Gesicht gemeißelt ist, kann man schnell erkennen, dass Carsten und ich ihm bei der Abfahrt vom Niederjoch nicht zuviel versprochen haben ”

Leider hat sich die Sonne so früh am Morgen auf dem Trail erst gar nicht blicken lassen, ein klarer Nachteil, wenn man so früh unterwegs ist, zumindest hier. Wir legen die Protektoren ab und verstauen sie mit den inzwischen überflüssigen warmen Kleidungstücken im Rucksack. Weiter geht es auf der Straße den See entlang das Schnalstal hinauf. Im Gasthof Gerstgras kaufen wir noch ein paar Kleinigkeiten und füllen unsere Trinkflaschen auf. Leider bleibt diese Rastmöglichkeit bis auf weiteres die einzige.
Nun folgt die Fahrt auf der Straße Richtung Kurztas bis zum Koflerhöfe, wo wir in den Wanderweg Nr. 5 einbiegen. Ein ca. 2 m breiter Almweg führt über grausig steile Rampen durch einen wunderschönen, lichten Lärchenwald. Wir blicken zurück auf das Skigebiet am Ende des Schnalstales während wir uns langsam nach oben arbeiten. Immer wieder kann gefahren werden, aber an einigen Rampen würde ich selbst mit Klickpedalen und einem leichteren Bike absteigen müssen. Knapp über der Baumgrenze wird die Landschaft noch mal flacher. Eine malerisch gelegene Alm befindet sich im Lagauntal, Pferde grasen auf der Weide, beinahe kitschig schlängelt sich ein Bach über die satt grünen Wiesen.

Aufstieg zum Tarschel Jöchl
Aufstieg zum Tarschel Jöchl
Wir durchschreiten nun den Latschengürtel auf einem schmalen Trail, der das Schieben der Bikes erschwert. Wir stoppen immer wieder, verschnaufen und genießen die großartige Landschaft und die absolute Einsamkeit an diesem fast unbekannten Übergang ins Vinschgau. Dann beginnt abermals ein heftiges Schiebe- und Tragestück Richtung Tarschel Jöchl. Wir haben die Latschenkiefern hinter uns gelassen, die Vegetation nimmt immer mehr ab und bald befinden wir uns wieder in einer trostlosen Geröllwüste. Der Trail mit seinen unzähligen engen Kehren ist dabei derart schön, dass es schmerzt hier hochschieben zu müssen anstatt ihn runterzusurfen.
Nochmals queren wir einen mit groben Brocken durchsetzten Bereich bis wir nach fast 800 Höhenmetern schweißtreibender Schinderei endlich das Tarschel Jöchl erreichen.
Auf dem Joch stehen die Reste der ‘alten’ Heilbronner Hütte, welche 1933 abbrannte. Ein kleiner Hinweis für alle die schon mal wie ich bei der Neuen Heilbronner Hütte waren und sich verwundert fragten, wo denn nun die Alte abgeblieben sei.
Wir blicken zurück und können sogar die Similaunhütte auf dem Niederjoch am Horizont erkennen – hier waren wir nur wenige Stunden zuvor gestartet.
Nun beginnt eine Freeride Abfahrt, die ihresgleichen sucht. Wenn man Spitzkehren mag, kann man hinunter ins Vischgau in einen wahren Rausch kommen. Doch zunächst erwartet uns eine verblockte Granitpassage, wo nochmals Konzentration und präzises Lenken gefordert sind. Ich warte kurz auf einer Anhöhe vor der schwarzen Lacke um von Dave und Harry weiter unten Fotos zu machen.
Abfahrt vom Tarschel Jöchl
Felssektionen am Tarschel Jöchl
Der gewölbte Talkessel wartet hier mit einem akustischen Phänomen auf. Obwohl ich die Beiden gar nicht sehe und sie einige hundert Meter von mir entfernt durch die Felsen trialen, höre ich ihre Stimmen so laut und deutlich als befänden Sie sich direkt neben mir.
zum Lago Negro
Downhill zum Lago Negro
Nach einigen äußerst anspruchsvollen Felspassagen fahren wir schließlich an der schwarzen Lacke vorbei Richtung Kortscher See. Hier wandelt sich der Charakter des Trails abermals. Erst fahren wir über große Slickrocks ab, um uns gleich darauf mitten in einem großen Schuttkegel wiederzufinden. Alles ist in Bewegung, ein Pfad ist kaum zu erkennen. Sandige lockere Abschnitte wechseln sich ab mit Bereichen voller lose geschichteter und wackeliger Platten.
Doch auch dieser Abschnitt ist mit den entsprechenden fahrtechnischen Kenntnissen machbar. Am See rutscht Harry im flachen Bereich an einer Felsplatte aus und springt vom Rad. Genau an dieser Stelle fahre ich mir gleich darauf meinen zweiten Platten des Tages ein, abermals ein Fahrfehler. Nach der Reparatur am Bergsee geht es weiter durch zahlreiche Serpentinen. Der Trail ist hier sehr schnell und flüssig fahrbar.
Abfahrt vom Tarschel Jöchl
Abfahrt vom Tarschel Jöchl

Nach der Querung eines Baches geht es weiter auf einem schmalen Wald- und Wurzelpfad am Hang entlang ins Tal. Schließlich erreichen wir nach über 800 Höhenmetern Trail-Vergnügens eine Schotterpiste und kehren wenig später in der Schranderser Alm ein. Mit Brettljause, Speck, Käse und leckerem Holundersirup bekämpfen wir den inzwischen mächtigen Kohldampf. Um uns hoppeln (und poppen) Hasen, während sich einige Hühner für unsere Bikes begeistern.
Harry: “Was war das bis jetzt für ein genialer Tag. Über 2200 Höhenmeter auf Trails vernichtet, die ihresgleichen suchen. Da kam uns die urige Schlanderer Alm wie gerufen, ist sie doch auch die einzigste Einkermöglichkeit übers Tarscheljöchl.”
Nach der Rast geht es auf einer steilen Schotterpiste rasant ins Tal. Schnell sind 600 Höhenmeter platt gemacht. Gerade noch entdecken wir den Abzweig in den Weg Nr.4. Wir stoppen kurz um die Protektoren wieder anzulegen, dann geht es durch den Kiefernwald hinab auf einer wahren Bremsteststrecke. Schließlich biegen wir in einen Waalweg ein. Die Wege sind uralte offene Wasserleitungen, neben denen sich ein schmaler Pfad befindet, der früher zur Kontrolle und Reinigung der wichtigen Wasserleitungen diente. Auf Trails fahren wir ab bis in die Ortsmitte von Schlanders.
Danach geht es weiter auf dem Radweg durchs Vinschgau bis Morter, wo wir nach einer Bushaltestelle suchen. Während der kurzen Wartezeit wird die Hitze hier unten im Tal unerträglich. Wir trinken noch kurz einen Kaffee in einer benachbarten Bar. Dann verladen wir die Bikes in den Linienbus. Die Busfahrt bis Martello ist schnell vorüber. Während wir auf den Anschluß warten, der uns das Martelltal ganz hinauf fahren wird, flicke ich bei einem Bier meine zwei Schläuche. Während der weiteren Busfahrt machen wir Erkundigungen bezüglich unserer morgigen Wegplanung. Ein Wanderer mit Eispickel in der Hand traut uns die Route zu, ein Bergführer rät uns jedoch ab. Er hält die Überschreitung des Langenferner Gletschers mit dem Bike zwar prinzipiell für machbar, aber ohne die entsprechende Ausrüstung für zu riskant.
Bei unserer Ankunft im Gasthof Schönblick sind wir etwas verunsichert. Während des Abendessens beginnt es heftig zu regnen. Lange sitzen wir über den Landkarten und beratschlagen was zu tun ist und welche Routen wir alternativ nehmen könnten.
Was wird morgen?
Ach so, da war noch was: meine Blasen. Die Blasenpflaster haben mir den Tag erträglich gemacht, auch wenn´s nicht wirklich so aus sieht:
Balsen
Blasen im Endstadium

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Alle Fotos von Tag 4

Hier unser Streckenverlauf

Höhendiagramm Tag 4

Strecke:
Similaunhütte

Niederjoch
Vergnatt
Tarscheljöchl
Schlanders
Morter
Martelltal
Gasthof Schönblick

Übernachtung:
Gasthof Schönblick

Tel. 0039/473/744776