10. ETAPPE
Sion – Gsteig

Meine Nacht war denkbar bescheiden. Zum Glück hat mich unsere Vermieterin gestern Abend noch mit einem Eisbeutel versorgt. Der Arm ist blau angelaufen und dick geschwollen. Inzwischen haben sich die Schmerzen vom Unterarm hin zum Ellenbogen verlagert. Bewegen kann ich das ganze Elend natürlich gar nicht mehr. Ach so, geregnet hat es heute Nacht auch noch.

Nach dem Frühstück bringt mich unsere Vermieterin mit dem Auto zu der Ambulanz in Sion. Wir waren hier gestern Abend tatsächlich knapp daran vorbei gefahren. Geschlossen wäre sie allemal gewesen.

Roland, Rolf und Dave machen sich währenddessen auf in Richtung Saneschpass…mit dem Postbus. Ein richtiges Abenteuer, wie ich später erfahren sollte. Ich dagegen bin ganz glücklich, dass sowohl Arzt als auch Personal in der Praxis einigermaßen deutsch sprechen. Schnell sind ein paar Röntgenbilder geschossen, na ja das zweite mit den komplett ausgestreckten Arm ist ziemlich schmerzhaft. Die Entwicklung dauert ein paar Minuten. Ich lasse mir diese sofort geben als die Arzthelferin mit den Bildern ankommt und blicke darauf: OK, kein Bruch sichtbar. Noch mal Glück gehabt.

Der Arzt verpasst mir noch eine Schlinge, versorgt mich mit einem Rezept für Schmerztabletten und Sportgel und meint noch: “ich könnte die nächsten Wochen zu Fuß weitergehen, mit dem Biken sei erst mal Schluss”. Ich hole auf der Bank noch einige Schweizer Franken um meine Rechnung zu begleichen und versorge mich auf dem Weg zum Busbahnhof mit den verschriebenen Medikamenten.

Armbinde

Busbahnhof, gutes Stichwort. Hier hat der Rest unserer kleinen Gruppe inzwischen die endlose Diskussion mit dem Busfahrer über die Mitnahmemöglichkeit von Bikes auf dieser Stecke erfolgreich abgeschlossen. Sie befinden sich auf der langen Reise den Pass hinauf, wobei natürlich an jeder Milchkanne angehalten wird. Das natürlich nicht nur auf dem direkten Weg nach oben, sondern kreuz und quer immer wieder zwischen den beiden Talseiten pendelnd.

Inzwischen ist wieder schönstes Wetter und ich habe mit dem Linienbus wieder unserer Unterkunft in Vétroz erreicht. Schnell sind meine Sachen gepackt und ich sitze schon wieder auf dem Bike. Dieses Mal allerdings unten im Tal auf dem Radweg in Richtung Matigny. Dieser führt durch die Weinberge entlang der Rhone und wäre an sich ganz nett zu fahren, wenn da dieser unmenschliche Gegenwind nicht wäre. Und dieser scheint hier des Öfteren zu wehen, sind doch komischerweise alle Bäume entlang des Flusses nach Osten verbogen. Ziemlich schnell verfluche ich die Entscheidung nicht mit dem Zug zu fahren. Zumal der Arzt mir sowieso von Radfahren abgeraten hat.

Dann erreiche ich das Rhoneknie nördlich von Martigny. Hier macht der Fluß einen scharfen Knick nach Norden, er zwängt sich nahe einer Felswand durchs Tal. Dazwischen ein schmaler Teerweg, darauf ich mit dem Bike, einarmig und der Wind. Der wechselt hier natürlich ebenfalls die Richtung und schlägt mir an dieser Engstelle mit voller Wucht entgegen. 10 km/h zeigt der Tacho, 8, 7, 6…ich kämpfe mit aller Macht gegen diese Naturgewalt an…8 km/h… 10…15 km/h geschafft. Ich bin ziemlich platt. Hunger habe ich auch schon wieder und es sind noch 15 km gegen den Wind bis nach Saint Maurice, wo mich die Anderen mit dem Auto abholen wollen. Ich wechsel die Seite der Rhone und fahre weiter gegen den Wind an. In Evionnaz ist meine Motivation endgültig am Boden. Ich brauche erst einmal was zu Essen. Natürlich haben mal wieder alle Geschäfte geschlossen und die einzigste Gaststätte, an der ich vorbei komme sieht alles andere als einladend aus. So fahre ich hungrig weiter. Dann die Rettung, eine Raststätte am Straßenrand, geöffnet, mit richtigem Essen…unglaublich. Schnell ist das Bike geparkt, eine Portion Nudeln und eine Cola bestellt.

Per SMS kommuniziere ich mit Roland und eine knappe Stunde später holen sie mich ab. Danach sind wir noch viele Stunden unterwegs, laden Dave in Karlsruhe ab und erreichen zum Schluss Aalen. Ich darf die ganze Zeit als Beifahrer fungieren.

Fazit:

Bitteres Ende ohne Trails. 8 Wochen nach dem Unfall entpuppt sich die Verletzung bei einem erneuten Arztbesuch als Radiusköpfchenfraktur. Im Oktober verbringe ich viel Zeit mit Krankengymnastik. Radfahren konnte ich nach 10 Tagen wieder, mit Messer und Gabel essen nach 11.

Daneben hätte ich bei der Planung auf Dave hören sollen und die Tour in Sion starten und enden lassen sollen. Das hätte uns am ersten Tag das Gewitter und mir heute den Kampf gegen den Wind erspart.
Route:

Sion
Col du Sanetsch
Gsteig