Ich reiße den kleinen Papierbeutel mit Zucker auf und lasse die kleinen Kristalle in den Mund rieseln. Sobald sich der Zucker im Mund auflöst, wird dem Körper wieder Energie zugeführt. Und diese brauche ich jetzt dringend, denn der Tag was bis hierher alles andere als ein Zuckerschlecken. Ach so, es ist kurz nach 19.00 Uhr Abends, Höhe 2100 Meter kurz vor dem Panixerpass. Die Sonne ist bereits hinter den Bergen verschwunden, schade eigentlich, jetzt könnten wir sie noch ein bisschen brauchen, um die wunderschöne Landschaft um uns herum ins rechte Licht zu rücken. Vor zwei Stunden habe ich die Heizung am Himmel noch verflucht, hat sie uns doch bei der Auffahrt hierauf Temperaturen von bis zu 38°C eingebrockt. Doch nun erst mal von Anfang an:

Letzen Donnerstag beim Stammtisch haben wir noch darüber gelacht. Eine Tour in der Schweiz, eigentlich braucht man dafür 3 Tage, wir haben aber nur zwei, also fahren wir trotzdem. Das Wetterfenster ist kurz. Ab Samstag Abend soll es besser werden, und Montag rollt schon wieder eine Kaltfront an. Wie schon so oft in diesem Sommer.

Es ist Sonntag früh um kurz nach sechs. Wir haben im 1000 Sterne Hotel geschlafen. Im Klartext mit Isomatte und Schlafsack auf der Wiese vor dem Auto. So um die 3°C hatte es wohl, und feucht war es, fließt doch ein kalter Gebirgsbach nur wenige Meter an uns vorbei. Schnell ist ein Espresso auf der Gaskartusche gebraut und schon geht es los. Los auf die Bikes zum Aufwärmen in Richtung Kunkelspass. Mit gemächlicher Steigung geht es bergan, dann noch ein paar Serpentinen und die Passhöhe ist erreicht. Doch dieser Pass ist nur eine Zwischenstation, uns erwarten 700 weitere Höhenmeter hinauf zur Ringelspitzhütte. Inzwischen schaut die Sonne über das mächtige Calanda Massiv und wärmt. An der Grossalp endet der angenehm zu fahrende Schotterweg, die letzten 200 Höhenmeter müssen wir die Bikes hinauf tragen.

Nun erwartet uns die erste Abfahrt durch den Lawoitobel. Diese beginnt erdig und rutschig, das Fahren der engen Spitzkehren ist echt scher und gewöhnungsbedürftig. Und gerade jetzt wo der Weg nahe am Abgrund über einer tief eingeschnittene Klamm verläuft, wäre ein trockener Trail und saubere Reifen wünschenswert. Tief unter uns rauscht der Bergbach, über einen schmalen Steg geht es über ihn hinweg. Jetzt wandelt sich der Charakter des Trails, der Untergrund wird besser, schottrig und griffig. Dennoch ist höchste Konzentration gefordert. Fahrtechnisch anspruchsvoll geht es über Almwiesen, durch Latschkieferwälder und einige Bachdurchfahrten das Tal hinab. Dann erreichen wir den richtigen Wald, den Sgaiwald sagt die Karte. Abermals ändert sich der Untergrund: Wurzeln und Tannennadeln prägen nun den Charakter des Trails. Die Abfahrt macht Spaß, ist aber weiterhin steil und schwer zu fahren. Wer hier mit blockiertem Hinterrad runter rutscht ist fehl am Platz. Statt dessen ist präzises Fahren, dosiertes Bremsen und ab und an das Versetzen des Hinterrades angesagt. Irgendwann endet dieser Flowtrail und geht in eine schmale Schotterpiste über. Aber selbst hier ist für uns als Schotterwegehasser der Spaß nicht vorbei. Etliche Wasserrinnen, enge Kehren und teilweise lockerer Untergrund garniert mit einigen Erosionsrinnen verlangen abermals höchste Konzentration, zumal hier mit hoher Geschwindigkeit gefahren werden kann. Erst wenige Meter vor Tamins treffen wir wieder auf die breite und langweilige Standardroute, die vom Kunkelspass herab kommt. Am Brunnen werden kurz die Trinkflaschen aufgefüllt und weiter geht es auf dem Senda Sursilvana in Richtung Rheinschlucht. Wer auf dieser ausgeschilderten Mountainbikeroute einen langweiligen Schotterwege vermutet liegt falsch. Ein schmaler Trail führt erst parallel zur Straße, später durch den Wald in Richtung Trin. Die Anstiege sind giftig, aber selbst mit einem schweren Bike und reichlich Gepäck auf dem Rücken zu bewältigen. Apropos Gepäck: Da wir heute auf dem Panixerpass in einer Selbstversorgerhütte übernachten wollen, müssen wir unser gesamtes Abendessen mit im Rucksack haben. Und da heute Sonntag ist, scheidet auch ein Einkauf zu einem späteren Zeitpunkt aus. Nach der Überquerung des Val Pintrun ist noch ein letzter, für uns ungeplanter Gegenanstieg zu bewältigen. Dann geht es auf einem schmalen Trail mit unzähligen Holzstufen technisch anspruchsvoll hinab in die Rheinschlucht. Einige der Spitzkehren verlangen sehr viel fahrtechnisches Können. Unten am Rhein gilt es als nächstes das reißende Wildwasser zu überqueren. Glücklicherweise gibt es auf der Eisenbahnbrücke einen schmalen Fußweg, der dies problemlos ermöglicht. Weiter geht es nach einer kurzen Rast durch einen dschungelartigen Auwald. Ein Stück Steilufer ist dadurch zu überwinden, indem man zunächst auf der einen Seite hinauf trägt und danach auf der anderen Seite auf einem engen und ausgesetzten Pfad wieder ans Wasser hinab fährt. Dann wird der Weg etwas einfacher und führt abwechselnd parallel zu den Bahngleisen oder direkt am Wasser entlang. Landschaftlich ist die Rheinschlucht atemberaubend schön. Senkrechte Wände rechts uns links des wilden Flusses begleiten uns bis nach Ilanz. Nach einer kurzen Kaffeepause und einem großen Glas Cola fahren wir nach Rueun auf dem geschotterten Radweg. Hier überqueren wir zum letzen mal den Rhein auf einer historischen Holzbrücke bevor der finale Anstieg von 1600 Höhenmetern hinauf zum Pass beginnt. Zeit einmal eine Zwischenbilanz zu ziehen: Wir sind inzwischen seit über 8 Stunden unterwegs, haben geplante 1000 Höhenmeter zur Ringelspitzhütte und unten am Rhein über 600 versteckte Höhenmeter bewältigt. Die Sonne brennt jetzt unbarmherzig heiß auf uns herab. Während unten am schattigen Fluss stets angenehme Temperaturen herrschten, müssen wir jetzt in einem Südhang bei Steigungen bis 20% ungeschützt Bedingungen wie in der Sauna ertragen. An jedem Brunnen füllen wir die Trinkflaschen mit kühlem und erfrischendem Quellwasser und fahren auf der keinen Teerstraße Serpentine für Serpentine hinauf in das Bergdorf Pigniu. Ab hier können wir recht bequem und gleichmäßig steigend einer relativ frisch gebauten Schotterpiste folgen. Doch bei uns schwinden so langsam die Kräfte und so wird der Aufstieg zu Qual. Bis zur 2000 Meter-Marke ist der Weg gut ausgebaut. An einer Alm endet der Weg jedoch. Fortan ist eine steile und grobschottrige Piste zu bewältigen. Zuviel für uns, wir steigen ab und schieben. Inzwischen haben wir knapp 3000 Höhenmeter in den Beinen. Auch unser Tempo lässt zu wünschen übrig. Wir werden sogar von zwei Fußgängern überholt. Auch sie wollen oben auf dem Pass übernachten. Wir hoffen darauf, dass sonst nicht viel los sein wird da oben und wir auf einen Schlafplatz vertrauen können, denn für die Abfahrt fehlen uns einfach die Reserven. Zudem wird es langsam spät. Die Piste geht bei 2100 Metern schließlich in einen Trail über, der an bizarren Felsgebilden entlang und später sogar noch einmal etwas bergab führt. Dann wird er sichtbar, der finale Anstieg: 300 Höhenmeter in einem steilen Schuttkegel. Zuckerbeutel, Bike geschultert und los geht´s. Der Untergrund ist feucht, lehmig und bisweilen glitschig. An einer Quelle am Wegesrand fülle ich ein letztes mal die beiden Trinkflaschen, dann erblicken wir die kleine Hütte auf dem Pass. Die letzten Meter können wir sogar fahrend bewältigen. Geschafft! Mit den letzten zwei Holzscheiten entfachen wir in dem kleinen Aufenthaltsraum im Ofen ein Feuer und können so die 3 Dosen Ravioli, die wir den ganzen Tag im Rucksack transportiert haben aufwärmen. Töpfe sind auf der Hütte vorhanden, saubere und kuschelige Wolldecken auch. Und Platz, das wichtigste. Neben uns sind nur 4 weitere Personen auf der Hütte. Schlafplätze sind für ca. 20 Personen vorhanden. Gleich nach dem Essen sinken wir völlig ausgepowert ins Bett und schlafen gleich ein…

weiter zu Tag 2

Route:

Kunkelspass-Ringelspitz-Tamin-Rheinschlucht-Panixer Pass

Tourdaten:

13 h unterwegs, 10 h Fahrzeit
3250 Höhenmeter, 60 km

GPS Tracks:

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BIldergallerie: