Nach einem völlig verregneten August starten meine Kumpels Michael, Günter und Frank heute zu Ihrem Alpencross. Ich habe für diesen Tag bereits vor einigen Monaten Urlaub eingetragen. Die ganze Woche über hat es nochmals heftig geregnet, in den Alpen sank die Schneefallgrenze in der letzten Augustwoche sogar bis auf 1500m. Einige Straßenpässe waren gesperrt oder es galt Schneekettenpflicht. Nicht so heute, bereits um 8.00 Uhr auf Autobahn kurz nach Ulm tauchen die Alpen auf, Schneeweiß eingezuckert und bei bester Fernsicht.

Der ideale Tag für mich, die Drei in die Berge zu shutteln, sie ein Stück zu begleiten und dann das ganze zu einer respektablen Trailhunter-Tour auszubauen.

Kurz nach 9:00 Uhr haben wir in Biberwier geparkt und sitzen bei kühlen 6°C und strahlendem Sonnenschein auf den Bikes.
Während die meisten Alpencrosser am Fernpass die relativ langweilige Via Claudia befahren folgen wir dem wesentlich reizvolleren Weg Richtung Blindsee entlang der Loisach. Kurz vor dem Blindsee überwinden wir schnell ein kurzes Schiebestück um bald darauf den malerisch gelegenen See vor uns zu haben. Am Ufer des blauen Bergsees befindet sich ein traumhafter Singletrail, der einmal rund um den ganzen See führt. Auf teilweise technisch anspruchsvollen Passagen auf S-2 Niveau geht es stellenweise ausgesetzt um den See herum.

Blindsee

An zwei Gegenanstiegen muss das Bike ganz kurz geschoben werden. Die Landschaft um uns herum ist heute atemberaubend schön: Unten grün, der wunderschöne See und ab einer Höhe von 2000 Metern sind alle Gipfel um uns herum mit Schnee bedeckt.

Nach einer knappen halben Stunde haben wir auf dem wirklich sehenswerten und lohnenden Trail den See umrundet. Weiter geht es auf einem Schotterweg und der Via Claudia hinauf Richtung Fernpass. Kurz vor der Passhöhe biegen wir ab und folgen dem Wirtschaftsweg hinauf zur Nassereither Alm. Knapp 500 Höhenmeter müssen hier bewältigt werden. Nach einem kurzen Stopp an der Alm folgen wir dem Schotterweg. Wir fahren am Abzweig des Wanderweges vorbei. Meine alte Kompasskarte ist nicht mehr ganz aktuell, so dass einige der vorhandenen Schotterwege gar nicht in der Karte verzeichnet sind.

Intuitiv folgen wir jedoch den richtigen Abzweigungen und finden schließlich den Einstieg in den Knappensteig hinab nach Nassereith. Gleich am Anfang erwartet uns eine heftige S-5 Passage. Ich lasse Luft aus meinen Reifen und ziehe meine Protektoren an, während meine drei Kumpels zu Fuß an der Passage vorbei gehen. Auch Ich verweigere wegen des kleinen Baches and er Schlüsselstelle die Weiterfahrt. Hier aufgrund nasser Reifen in die Felsen zu fliegen will ich nicht riskieren. Der Trail führt weiter auf S-2 Niveau hinab ins Tal.

Knappensteig

Lockere Brocken, glitschige Wurzeln und einige S-3 Passagen verlangen ständige Konzentration. Fahrtechnisch versierte Biker wie wir haben hier richtig Spaß, andere werden sich an diesem Trail sicherlich die Zähne ausbeißen. Schließlich erreichen wir nach knapp 800 Höhenmetern Trailspaß eine Schotterpiste, die uns in Richtung Aschland führt.

Vorbei am Gasthof Arztkasten geht`s in Richtung Simmering, unserem zweiten Ziel an diesem Tag. Bei Finsterficht beginnt der 800 Höhenmeter lange Aufstieg auf diesen zunächst vollkommen bewaldeten Berg. Inzwischen ist es richtig warm geworden, so dass wir auf der steilen Schotterpiste ganz schön ins Schwitzen kommen. Kurz vor der Simmering-Alm lassen wir die Baumgrenze hinter uns. Nach einer kurzen Rast geht es fortan auf einem Almwiesenweg in Richtung Simmering-Gipfel. Um uns herum nur grüne Wiesen, der Blick ist frei. Und dies ist genau das, was wir hier oben heute brauchen, schließlich befinden wir uns auf dem wohl am schönsten gelegenen Panoramaberg nördlich des Brenners. Unser Blick schweift von der Miemiger Kette, über das Karwendel, hinab ins tief eingeschnittene Inntal rüber zu den Bergen nördlich des Kühtai. Darauf folgen Ötztal, Pitztal und im Westen schließlich die Lechtaler Alpen.

simmering

Alle Gipfel schneebedeckt, blauer Himmel, Eiszirren am Himmel…ein Traum, der sich mit Worten eigentlich nicht beschreiben lässt. Wir folgen weiter der Fahrspur und gelangen schließlich zu einem Weg, der hoch über dem Inntal in den Fels gegraben wurde. Dann endet der fahrbare Teil. Da ich nun langsam an den Rückweg denken muss, beschließe ich hier an der Schiebestelle umzukehren. Michael, Günter und Frank machen sich auf um den Simmering zu überqueren und danach ins Inntal und schließlich ins Ötztal in Richtung Sölden zu gelangen.

Ich habe inzwischen über 2200 Höhenmeter auf dem Tacho und verspüre mächtig Hunger. Schnell geht es zurück in Richtung Simmering Alm. Dann plötzlich, während ich den Almweg runter cruise: Links von mir bewegt sich etwas Braunes in den Latschenkiefern, ich bremse. Knapp 10 Meter vor mir springen von der über 3 Meter hohen Böschung zwei Gämsen direkt vor mir auf den Weg. Ein kurzes Eintauchen der vier geschmeidigen Beine, ein Satz und wie eine Sprungfeder schnellen die Tiere wieder empor. Bevor ich ihnen mit meinen Blicken folgen kann sind sie im 10 Meter tiefer gelegen Gewirr aus Latschen verschwunden. Selbst ein Bender kann von solchen Sprungqualitäten nur Träumen.

Auf der Alm stärke ich mich mit einer Speckknödelsuppe und bekomm dazu ein Glas Schnaps serviert. Eigentlich ist so was auf einer Biketour ja abzulehnen, aber für geschenkt? Also, ideales Doping für die anspruchsvolle Trailabfahrt. Ich lege noch kurz meine Protektoren an und schon geht`s auf einem Singletrail abwärts. Auf dem S-2 Trail mit einigen anspruchsvollen S-3 Passagen vernichte ich in kürzester Zeit knapp 800 Höhenmeter. Ich bin voll im Trailrausch, die Maschine folgt willig meinen Befehlen und ich kann ohne auch nur einmal ein Bein abzusetzen dem gesamten anspruchvollen Trail abfahren. Zwei kleine Gruppen von Wanderern, an denen ich selbstverständlich nur mit Schrittgeschwindigkeit vorbei fahre versetzte ich ins Staunen. Gekonnt hebe ich das Hinterrad durch die engen Serpentinen und fahre trailschonend und ohne ein Krümelchen Erde zu bewegen durch den Trail.

Ich fahre nach der Abfahrt zurück in Richtung Arztkasten um über das Marienbergjoch zurück nach Biberwier zu gelangen. Mich erwarten nochmals 650 Höhenmeter hinauf zu Passhöhe. Hier habe ich mich bereits vor 2 Jahren nach der Umrundung der Mieminger Kette im Delirium und reichlich erschöpft hinauf gekämpft. Heute soll es mir nicht besser ergehen. Inzwischen ist es fast fünf Uhr. Lange Schatten liegen auf dem Schotterweg. An der Marienbergalm fülle ich ziemlich erschöpft meine Trinkflasche auf und lutsche an einer Packung Gel. Dann bezwinge ich mit letzter Kraft die verbleibenden Höhenmeter hinauf zum Joch. Oben raste ich erst einmal. Die Felswände der Sonnenspitze sind glühend gold in Abendlicht getaucht.

Hier führt eine Schotterpiste hinab ins Tal. Nix für mich. Ab der Marienberg Bergstation biege ich in einen völlig verschlammten, kaum sichtbaren Trail ein. In extrem engen und glitschigen S-4 Kehren geht es steil bergab. Heftig, aber für mich fast komplett fahrbar. An einem Abzweig folge ich einem schmalen Weg nach oben, schiebe das Bike auf einem teilweise ausgesetzten Pfad weiter und gelange nach kräftezehrendem Auf und Ab zu Überresten von alten Bergwerken. Immer wieder sind steile Schotterreisen zu queren und fahrtechnische Herausforderungen zu überwinden. Einige Schautafeln am Wegesrand erläutern die Geschichte des Bergbaus in der Region.

Meinen ursprünglichen Plan, dem Höhenweg weiter zu folgen gebe ich am ersten Abzweig ins Tal auf. Nach einem kurzen Verfahrer auf den zahlreichen Trails habe ich die richtige Abfahrt gefunden. Fortan geht es technisch extrem anspruchsvoll durchgehend auf S-3 Niveau ins Tal. Der Kalkstein ist kühl und beginnt nun zu schwitzen. Extrem glitschige Felspassagen erfordern nun eine äußerst exakte Linienwahl. Es ist spät. Hier heute Abend alleine im Bergwald einen Abflug zu riskieren, das kann ganz übel ausgehen. Kaum habe ich darüber nachgedacht, rutscht mir an einer schrägen Felsplatte das Vorderrad weg. Die Sache geht glimpflich aus, ich kann noch vor einem Sturz das Bein raus stellen und Schlimmeres verhindern. An jeder Schautafel mache ich eine kurze Pause, sammle Kräfte für die nächsten Trailsektionen und weiter geht`s den Berg hinab. Schließlich erreiche ich einen Schotterweg. Geschafft. Ich verzichte heute Abend ausnahmsweise mal auf eine Suche nach weiteren Trails und vernichte die letzten 150 Höhemeter auf einem schmalen Teerweg. In Biberwier komme ich fast exakt am geparkten Auto heraus.

Fazit: Trailhunter Traumtour am Fernpaß. Da fährt man jahrelang immer wieder mit dem Auto hier durch in Richtung Gardasee, Vinschgau oder dem Ötztal und muss dann lernen, das das Gute oft so Nahe ist.

Auf der Heimfahrt macht mein Auto mucken. Es blinkt die Glühkerzen-Anzeige und ich fahre mit der Leistung eines Kleinwagens 2 Stunden lang gen Heimat. 160 km/h Spitze, bergauf 110 Km/h. Ein unschönes Ende eines sonst unglaublich schönen Tages in den Bergen. Daheim angekommen merke ich, dass mein Polartacho mangels Speicher das Höhendiagramm nicht aufgezeichnet hat. sei´s drum. 3020 Höhenmeter und 62 km auf 3 Pässen sind absolviert, ebenso unvergessliche 2800 Höhenmeter Downhill auf anspruchsvollen Trails.