Binntal – Binn -Heiligkreuz – Salflischpass – Simplonpass

Heute ist nicht mein Tag. Es beginnt schon mitten in der Nacht. Obwohl es im vollen Matratzenlager der Binntalhütte ungewohnt ruhig ist kann ich nicht schlafen. Mein linker Fuß macht sich bemerkbar. Zum Frühstück humple ich die Treppe hinab. Irgendwie ist alles dick und geschwollen. Und das jetzt, wo uns doch noch eine heftige technische Abfahrt durchs Binntal nach Binn bevorsteht. So ein verknaxter Fuß, der auch noch aus einem peinlichen Hüttenunfall resultiert, handikapt einen schon ganz mächtig. Ich schmiere die ganze Sache erst einmal mit Schmerzgel ein und binde einen Verband drum herum. Zum Glück bin ich mit festen Bergstiefeln unterwegs, die dem Fuß etwas Halt bieten. Mit flachen Klickpedalschuhen hätte ich heute gänzlich verloren.

Egal, es geht erst einmal los. Das Wetter hält noch, der Trail ist trocken. Die Abfahrt ist unterhalb der Hütte zwar wesentlich einfacher als oben am Albrunpass, aber mir mir läuft heute nichts. Der alte Saumpfad weist einige Pflasterpassagen auf, auf denen wir mit hohem Tempo abfahren können. Die Vibration auf das Fußgelenk ist aber alles andere als angenehm. Immer wieder wird die Abfahrt von technisch anspruchsvollen Abschnitten unterbrochen. Hier müssen Stufen überwunden werden und die engen Spitzkehren verlangen das Versetzen des Hinterrades. Immer wieder gelingt mir dies nicht fehlerfrei. In einer engen Linkskehre überschlage ich mich dann  auch noch zu allem Überfluß. Zum Glück fängt der Rucksack den Sturz in die Felsen komplett ab, ich falle sanft wie in ein Federbett.

Zeit ein paar Worte über die Wege zu verlieren, auf denen wir schon die ganze Tour unterwegs sind, die Walserwege. Um das 13. Jahrhundert bis 14. Jahrhundert begannen einzelne Gruppen von Walsern, nach und nach das Rhonetal zu verlassen. Sie zogen in alle Himmelsrichtungen, vorrangig aber nach Osten und sie besiedelten die Täler von oben her. Letztendlich besiedelten die Walser den Teil der Alpen, den wir auf unserer Route von Davos nach Zermatt durchqueren und noch weiter nach Osten bis ins Kleinwalsertal. Bei der Besiedelung legten sie zwischen den errichteten Orten Saumpfade an, um den Handel zwischen den Orten zu ermöglichen. Nach und nach wurden die Wege besser befestigt und somit auch bei schlechten Witterungsbedingungen begehbar. Noch heute zeugen gepflasterte Passagen von der mühsamen Arbeit der vergangenen Generationen. Eine umfangreiche Liste der Schweizer Saumpfade zeigt den gesamten Umfang der Wegebautätigkeiten.

Zurück zu unserem Weg. Michael hat es wieder einmal geschafft seinen Hinterreifen mit einem Durchschlag lahmzulegen. Frank und ich nutzen die Zeit an einer Quarzsandsektion einige Fotos zu machen.

Kurz nach dieser geologisch interessanten Passage endet der schmale Wanderweg und ein Kiesweg beginnt. Zwar besteht hier die Möglichkeit weiter auf einem Wanderweg zu fahren, dieser führt aber zunächst nach links steil nach oben. Und auf ein Tragestück am Morgen haben wir heute keine besondere Lust. Ich entdecke auf dem Navi einen Trailabzweig, der ein Stück weiter unten vom Kiesweg abzweigt. Das erscheint sinnvoll. Ist es auch, denn es handelt sich abermals um einen schön gepflasterten alten Walserweg, der parallel zu  Schotterpiste hinab nach Binn führt. Schön zu fahren, fahrtechnisch immer wieder interessant und dennoch zielführend.

Schließlich erreichen wir Binn. Wir versorgen uns in einem kleinen Lebensmittelgeschäft mit einigen Vorräten und dann biegen wir ab ins Lengtal in Richtung Heiligkreuz. Dort beginnt der lange Schotteranstieg zum Saflischpass. Mir kommt diese Art von Auffahrt heute sehr gelegen, denn mit dem schmerzenden Fuß läßt sich zwar ganz passabel pedelieren, das Laufen fällt jedoch immer noch sehr schwer und an ein Tragen des Bikes durch verblocktes Felsgelände will ich besser gar nicht erst denken.

Der Weg führt in endlosen Serpentinen zunächst durch den Bergwald, später entlang von Almwiesen nach oben. Erst auf einer Höhe von über 2336 Metern endet der breite Weg an der Brunegge-Alm für uns. Hier zweigt ein Wanderweg in Richtung Pass ab, während der Schotterweg weiter nach Osten in Richtung Breithorn führt.

Nach einer kurzen Rast in einer windgeschützten Senke geht es steil nach oben. Immer noch befinden wir uns auf satten grünen Almwiesen, während sich vor uns eine wüstenartige Sandlandschaft auftut. Tiefe Gräben durchziehen hier eine kleine Hochebene. Wir fahren in eine dieser Senken hinein und bemerken etwas zu spät, dass man diese ein paar Meter weiter nördlich umfahren könnte. Egal, so tragen wir wieder auf der anderen Seite nach oben. Knapp 15 Minuten später stehen wir auf dem Safischpass. Die ganze Auffahrt hat jetzt ab Heiligkreuz fast 3 Stunden gedauert.

Jetzt geht es erstmal auf dem Traumtrail mit viel Speed und Flow nach unten in Richtung Gantertal. Der Trail macht richtig Spaß und wir sind schnell an der Seilbahnstation Fleschbode. Hier geht es scharf links weg auf einem unglaublich schönen Singletrail hinunter nach Stafel. Über Almwiesen und durch Lärchenwälder gleiten wir dahin. Unten steht beeindruckend und architektonisch sehr ansprechend die neue Simplon-Brücke im Tal.

Wir erblicken einen Weg am gegenüberliegenden Hang: Flach am Hang entlang, Michael hat eine Vermutung: dies kann nur ein Wasserleitungsweg sein, ein sogenannter  Suone. Es folgt ein kurzer Blick auf die Karte, dann ist klar: die Fahrt nach Steinu auf dem uralten Weg nehmen wir heute noch mit. Der Trail ist teilweise extrem ausgesetzt, führt stellenweise direkt an der senkrechten Felswand entlang. Hoch über dem tief eingeschnitten Tal ein imposantes Erlebnis, aber sicherlich nichts für Leute die nicht 100% schwindelfrei sind. Auch wir schieben an besonders schmalen Stellen die Bikes lieber, als hier einen Freiflug zu riskieren. Wir erreichen nach einer halben Stunde das Steinutal.

Ab hier geht es auf einer extremen Abfahrt hinab. Leider ist das Teilstück von Steinuchäller bis zur Steunumatte dermaßen steil, dass wir die Bikes hinab schieben müssen. Ein Blick auf eine 1:25000er Wanderkarte hätte uns hier sicher vor diesem Schiebestück bewahrt, aber diese haben wir natürlich nicht dabei. Nach 15 Minuten kommt die Alm Tamatte in Sicht und der Weg wird wieder flacher und somit fahrbar. Wieder unterhalb der Alm vorbei und schließlich auf einem Schotterweg zur Simplon-Passstraße.

Am ersten Restaurant an der Stecke rasten wir kurz und gönnen uns eine Kaffeepause. Danach beginnt ein Horrortrip durch Tunnels. Auf der breiten Straße sind zahlreiche Lastwagen unterwegs. Lange dröhnen die lauten Motoren durch die Tunnelröhren. Ich frage mich die ganze Zeit: Warum haben wir hier nicht den Postbus genommen? Diese Auffahrt macht absolut keinen Spaß.

Nach 20 Minuten ist das Ende der Gallerie erreicht. Wir erreichen den Pass im Nebel. Genau hier fährt der Postbus an uns vorbei. Ich schreie im Nach: “gelber Freund, wo warst Du als ich Dich brauchte?” Inzwischen ist es 17.00 Uhr. Unser kleiner Abstecher ins Steinutal hat ganz schön Zeit gekostet. Wir überlegen noch weiter zu fahren? Noch zwei Pässe um diese Zeit, im Nebel. Die Wegbeschaffenheit ist unklar, die ganze Sache zu unberechenbar. Daher treffen wir eine Entscheidung: wir bleiben.

Wir fragen noch in 2 Hotels nach dem Preis, dann checken wir ein. Endlich Duschen, nach 3 Nächten auf der Hütte. Das tut mal richtig gut. Während wir beim Abendessen sitzen fängt es kräftig an zu regnen. Die Entscheidung heute hier zu bleiben sollte sich als richtig erweisen.

Fazit:

Nach der hochalpinen Etappe am gestrigen Tag war die leichte, größtenteils fahrbere Etappe heute eine willkommende Abwechslung. Der Zustand meines verknaxten Fußes hat sich im Laufe des Tages gebessert, so konnte ich wenigstens die unerwartet schöne und abwechslungsreiche Abfahrt vom Saflischpass voll genießen. Die Erkundung der alten Suone ist als besonderes Highlight zu verbuchen, auch wenn die Abfahrt im Steinutal nicht komplett fahrbar war. Die leider unumgängliche Auffahrt zum Simplonpass auf der Straße sollte man sich auf keinen Fall antun.

Bilder:

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GPS:

Track und Höhendiagramm bei GPSies.com

Übernachtung:

Hotel Simplonblick

Tel. 027 979 11 13

Statistik Tag 6:

1768 Höhenmeter
davon 100 Höhenmeter getragen und geschoben
46 km
5,5 h Fahrzeit
9 h unterwegs

Karten:

Kümmerly + Frey Wanderkarte 24, Zermatt – Saas Fee – Grächen – Visp – Simplon

Kompass Wanderkarte 117, Zermatt – Saas Fee