3. Tag vom Val Zebru über den Passo dell Aples zum Pass Umbrail

Nachdem wir an den ersten zwei Tagen der Ortlerrunde vor den Tragestücken fast nichts gefahren sind, geht es heute zunächst einmal fast 3 Kilometer auf einer Schotterpiste bergab. Doch schnell verfallen wir wieder in den üblichen Trott und tragen die Bikes durch den steilen Bergwald nach oben. Der Weg wurde 2015 nach einem Murenabgang abschnittsweise verlegt.

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Wir erreichen einen Höhenweg, der uns meist fahrbar in Richtung der Militärstraße zum Passo Ables führt.

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Die Blicke ins Zebrutal, auf die vergeltscherten Gipfel von Cevedale und Zufallspitze im Rücken und der Blick auf das Berninamassiv voraus sind bei dem Traumwetter mit Sonne und blauem Himmel faszinierend.

Kurz vor der alten Militärstraße biegen wir zu früh ab und müssen die Bikes durch die Latschenkiefern zerren. Was tut man nicht alles, um sich ein paar sinnlose Höhenmeter Abfahrt auf Schotter zu ersparen?

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Die Militärstraße zum Passo Ables wurde vor knapp 100 Jahren errichtet, um die Frontstellungen oben am Gletscher mit Nachschub zu versorgen. Zunächst gleicht die Auffahrt noch einer Schotterpiste, wird aber mit jedem Meter schmäler und verjüngt sich schließlich zu einem schmalen Singletrail.
Wir können bis zu einem Geröllfeld auf 2660 Metern Höhe fast alles fahren. Hier ist der alte Wegverlauf zwar noch zu erkennen, aber die Militärstraße wurde durch 100 Jahre Erosion und Steinschlag fast völlig ausradiert. Wir folgen daher dem Trampelpfad, der nach rechts steil bergauf führt. Hier begegnet uns ein Wanderer. Er erzählt und von einem Erdrutsch, einem total verschütteten Weg und dass er umgekehrt sei….prima!
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Zunächst ist der Weg noch gut sichtbar, doch je weiter wir uns nach oben arbeiten, desto verfallener ist der Pfad. Schließlich sind nur noch ab und zu ein paar verblasste Markierungen und ein paar Steinmänner zu entdecken. Die Mittagssonne brennt unbarmherzig in die steile Südwand. Unsere Trinkflaschen sind jetzt bereits fast leer. Da weder regelmäßige Fußspuren noch eindeutige Markierungen zu entdecken sind versuchen wir in dem Labyrinth aus Felsnadeln, Sand und Geröll den ehemaligen Wegverlauf zu erahnen.

Das Vorankommen im weglosen Gelände ist äußerst anspruchsvoll und anstrengend. Entweder rutscht das Geröll bei jede Schritt unter den Füßen weg oder es ist derart verfestigt, dass wir mit den Bergstief0len immer wieder Tritte schlagen müssen, um überhaupt vorwärts zu kommen. Ein kurzer Abschnitt senkrecht zur Falllinie erfordert äußerste Kraftanstrengung. Der Puls rast, die Lunge keucht, die Steine rutschen polternd bergab….

Ab und zu entdecken wir verfallende Reste der ehemaligen Straße bis wir schließlich in einem Kessel stehen. Ausweglos?

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Ein Loch! Ein verfallener Tunnel. Der erhoffte Ausweg oder eine Sackgasse? Wir laufen durch den kurzen Tunnel. Schon nach dem ersten Knick ist das Ende in Sicht. Gespannt gehen wir weiter. Wir sind erleichtert, am Tunnelende den Weg zu erkennen. Es geht also weiter nach oben!

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Nachdem wir nochmals ein paar rutschige und steile Geröllpassagen passiert haben, entdecken wir links oben die Biwakschachtel am Passo Ables. Wir steigen hinauf und machen erst einmal Pause
Das Bergpanorama ist wunderschön. Nach Norden blicken wir in Richtung Stilfser Joch und in ein ehemaliges Gletscherbecken. Dort befindet sich heute nur noch die Grundmoräne und einige Stellungsreste aus dem Ersten Weltkrieg.

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Zum eigentlichen Pass müssen wir wieder ein paar Meter absteigen. Der Durst und die leeren Trinkflaschen zwingen uns zur Eile. Wir wollen so schnell wie möglich eine Quelle mit frischen Wasser finden. Wir passieren die italienische Frontstellung. Der Stacheldrahtverhau ist noch deutlich sichtbar, wenn auch er von den Schneemassen der letzten hundert Jahre platt gedrückt wurde. Wir hören das Wasser plätschern…zwei oder drei Meter unter uns im Geröll. Das Durstgefühl wird schlimmer…

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Am ersten Bergsee liegen wir halb verdurstet auf dem Bauch und lassen das lang ersehnte kühle Nass durch unsere ausgetrockneten Kehlen rinnen. Ein erlösendes Gefühl und sicher ein lustiger Anblick.

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Die Gegend hier oben gleicht einer Mondlandschaft. Graues Geröll, Sand und Fels. Der Wegverlauf ist grob mit ein paar Steinmännern und einigen bunten Punkten auf den Felsen markiert. Fahrtechnisch ist das Terrain äußerst anspruchsvoll. Schnell gewöhnen wir uns an den losen Untergrund und finden die richtige Balance zwischen Linienwahl und Wegsuche.

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Dennoch erfordert die Abfahrt allerhöchste Konzentration und 100% Aufmerksamkeit. Immer wieder müssen wir wegsackende und rutschende Reifen durch gekonnte Manöver parieren.

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Mit jedem Meter, den wir tiefer kommen wird der Weg besser und fester. So langsam stellt sich auch wieder das Flowgefühl ein.

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Auf einem allerfeinsten Wiesentrail erreichen wir schließlich die Straße von Bormio zum Stilfser Joch. Vorsichtig schiebe ich das Rad auf den Asphalt. Ein denkwürdiger Moment, der erste Asphaltkontakt nach 3 Tagen.

Wir versuchen allerdings die Auffahrt auf der Straße auf das absolut notwendigste zu beschränken. Bereits nach weniger als drei Kilometern biegen wir nach rechts ab und fahren auf einer gut erhaltenen Militärstraße in Richtung Laghetto Alto.

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Es ist spät geworden, die Abendsonne steht bereits tief am Horizont. Am malerisch gelegenen See erblicken wir erstmals auf unserer Ortlerumrundung den Gipfel des 3905 Meter hohen Berges.
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Ein schöner flowiger Singletrail führt uns zur Passstraße zwischen Umbrailpass und Stilfser Joch.

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Durstig und erschöpft erreichen wir nach dieser eindrucksvollen und anstrengenden Etappe den Umbrailpass.

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Im morbiden Albergo am Pass finden wir heute unsere Unterkunft. Die Versorgung und Verpflegung ist erstklassig, die gefühlt über hundert Jahre alten Betten sind abenteuerlich…

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Unsere Orterumrundung ist fast geschafft. Morgen erwartet uns das grandiose Finale am Tibettrail…

Fotos: Michael Jeltsch
Rider: Carsten Schymik und Frank Stoll

Hier gehts weiter zur Fortsetzung.

Übernachtung: im Albergo auf dem Umbrailpass

32 km – 1614 hm -700 hm getragen und geschoben -914 hm gefahren – Abfahrt 811 hm – 26 km gefahren

Fazit: mühsamer und stellenweise extrem anspruchsvoller Aufstieg auf verfallener Militärstraße. Das Trinkwasserproblem war neben dem Traumwetter und den Stellungen aus dem ersten Weltkrieg heute das beherrschende Thema. Die Trailabfahrt war rutschig, geröllig aber sehr interessant und einzigartig.

die Story in der BIKESPORT: Artikel

Kompasskarte Nationalpark Stilfser Joch:
Kompass 072

Hintergründe zum Ersten Weltkrieg und die Kämpfe am Ortler:
Front in Fels und Eis

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